Wer ist überhaupt dieser Ozu? Merkwürdiger Name, denke Sie wahrscheinlich. Kurz und doch seltsam. Ich erklähre ihnen nicht nur warum Sie sich den Namen merken, sondern warum Sie sich ausgerechnet einen seiner Filme (genau) anschauen sollten!
Ozu ist einer der drei grossen klassischen Regisseure des japanischen Kinos (zusammen mit Mizoguchi und Kurosawa), und gilt als der „japanischste“ von allen. Seine Filme zeigen eine für uns ganz unbekante fremde Welt, auch anders als das glizernde Hollywood, anders als Europa und sogar anders als das heutige Japan. Und trotzdem sehen wir viel Vertrautes in seinen Filmen. Warum und was denn?
Ozu hat vor, während und nach dem Krieg Meisterwerke erschaffen. Seine Nachkriegsfilme lockten ein Millionenpublikum ins Kino, dessen Zuschauerzahlen vor der Verbreitung des Fernseher riesig waren, und daher grosse Bedeutung zukam. Die japanischen FIlme der 50er und 60ern waren ausserdem hervorragender Qualität (was man vom neueren Fernsehen nicht behaupten kann.)
Ozus Filme spielen in einer Zeit der Neuorientierung. Japan erlebte mit dem Abwurf der Atombombe eine rasante Zeitenwende: schlagartig wurde Krieg über Nacht verloren, der Kaiser war auf einmal kein Gott mehr und sprach am Radio (das war damals undenkbar!), Japan war unter U.S. Besatzung, es flossen neuartige westliche Güter und vor allem Ideen ins Inselland. Die Wirtschaft boomte, veränderte das Stadtbild und die Lebensgewohnheiten. In dieser Zeit gingen die Leute massenweise in Kino. Sie suchten einerseits eine einfachere Welt, aber auch Ankerpunkte, an denen sie sich orientieren konnten, manchmal auch Sehnsucht nach der „alten Zeit“ (z.B. Samuraifilme). In Ozus Filmen fanden die Zuschauer ein Zuhause, wo Sie sich wohlfühlten. Eine kleine Priese Nostalgie ist wohl dabei, aber vor allem ging es Ozu um das wichtigste der damaligen Zeit: die Familie. Nie verlässt er die Gegenwart des modernen Japans. Die neue Welt nimmt in seinen Filmen einen Platz ein, aber nicht abstrakt, sondern indem es das Leben der Menschen massgeblich mitbestimmt.
In Ozus Filmen entfalten sich komplexe Familiensituationen und unglaublich entspannter Atmosphäre. Dies erreicht er unter anderem mit einer verblüffend anderen Filmsprache wie es etwa Hollywood zur gleichen Zeit gemacht hatte. Kamera ist tief positionier, statisch, immer in den gleichen Einstellungen und biete damit wunderschöne (vor allem Innen-) Aufnahmen. Viele Regisseure auch jüngster Generation sind sichtlich von Ozus Filmtechnik geprägt (etwa Yoji Yamada oder Hirukaze Koreeda).
Seine Charakteren versuchen in einer veränderten Welt ein glückliches Leben zu finden. Fast immer geht es um Veränderungen der familiären Situation, anbahnende, unglückliche Heiraten oder nicht heiraten wollende Familienmitglieder. Obwohl er gnadenlos Regie geführt haben soll (die Schauspieler musste eine Szenen unzählige Male wiederholen, bis sie genauso im Kasten war wie Ozu sich das vorstellte) wirken die Filme unglaublich natürlich. Der Blick auf die Charakteren und ihre Beweggründen ist durch und durch humanistisch, die Kamera interessiert sich für sie, zeigt aber nur was man von aussen sehen kann (keine „psychologisierten“ Einstellungen). So wird man als Zuschauer zum Beobachter, und nicht zum involvierten, wie in manchen Hollywood Filmen.
Auf den ersten Blick erkennt man nicht wie sehr die Szenen, das Schauspiel (Mimik, Tonfall), die Bildkomposition durchkomponiert wurden. Ozu inszeniert in seinen Filmen eine Wirklichkeit die realistisch und naturalistisch ist.
Kurz Ozu ist ein Meister, von dem man viel über die Motive und Sorgen der Japaner in den 50er Jahren, aber auch Menschen generell, lernen kann. Interessant sind seine Filme auch darum, weil sie eine so ganz andere Welt zeigen, die doch (ob man Japan kennt oder nicht) sehr vertraute Muster und Denkweisen offenlegen.
Seine Filme bieten schöne zwei Stunden lange wunderschöne Bilder, bei denen man über die Menschen nachdenken kann.
„Tokyo Monogatari“ ist – weltweit anerkannt – einer der schönsten Filme der Kinogeschichte.