Vergessene Demokratie 2 – Sind wir mündige Konsumenten?

 

Im vorhergehenden Text habe ich vorgeschlagen, alltäglichen Wahlentscheidungen mit politischen Entscheidungen zu vergleichen. Denn: die täglichen Wahlentscheidung in Coop, Migros und Co haben einen ebenso grossen Einfluss auf unsere Welt, wie politische Wahlen: Sie sind genauso demokratisch, und genauso folgenreich. Blöd nur, dass politische Entscheidungen ereignisvoll im TV und an Stammtischen ausgefochten werden, während sich die Entscheidungsfindung unserer alltäglichen Entscheidungen auf Ingroups und verkümmerten Bubble-diskussionen im Chatformat begrenzt. Warum nur? Und können wir das nicht ändern?

Natürlich ist mir bewusst, dass der Vergleich hinkt. Doch dieses „Hinken“ sollte den Vergleich nicht zum Fallen bringen, denn es eröffnet uns wunderbar die Probleme, die wir anpacken müssen, um als mündiger Konsument bessere Entscheidungen zu treffen! Es sind vor allem drei Punkte, die unsere alltägliche Wahl als echte, bewusste „demokratische“ Wahl erschweren: 1) die Häufigkeit der Wahl 2) der Mangel an Informationen und 3) der Mangel an echten Wahloptionen (Zwang).

 

1) Häufigkeit der Wahl

Dies ist strukturell der gravierendste und bedeutendste Einwand gegen den Vergleich. Während wir uns etwa viermal jährlich zum politischen Geschehen an der Urne äussern dürfen (dies ist international ein Spitzenwert) und dazu genügend Zeit haben, um uns ein Urteil zu bilden, müssen wir uns täglich, stündlich oder sogar im Minutentakt für oder gegen etwas entscheiden. Mit der Häufigkeit kommt die Inflation: die allermeisten Entscheidungen fällen wir unbewusst. Wir halten uns an Gewohnheiten. Wir kaufen im gleichen Supermarkt („Bist du ein Migros- oder Coopkind?“) und dann kaufen wir wiederkehrend die gleichen Produkte, die gleiche Marke oder die gleiche Produktlinie. Vielleicht haben wir uns einmal (mehr oder weniger bewusst) Zeit genommen, um die verschiedenen Joghurts zu vergleichen, vielleicht spricht das Produkt, insbesondere die Verpackung, unsere versteckten Vorlieben an. Die Entscheidungen folgen ziemlich fixen Mustern – die Routine bestimmt unsere Einkäufe. Und das ist eigentlich auch gut so, denn wir können nicht vor jedem Joghurtkauf eine Stunde die Vor-und Nachteile abwägen, bevor wir eine richtig bewusste Entscheidung treffen. In unserem Alltag werden wir häufig genug gezwungen, Entscheidungen zu treffen, sei es im Beruf oder im Privaten, und es wäre dumm, sich von der Wahl eines Joghurts „verrückt“ machen zu lassen.

Was wir aber hin und wieder tun können und auch tun sollten, ist, unsere Routine zu reflektieren. Wie kaufe ich eigentlich ein? Kaufe ich eigentlich, was ich wirklich will und verantworten kann, oder lasse ich mich von der Werbung überrumpeln (was man durchaus auch einmal zugeben und akzeptieren darf…). Diese Reflektion kann sehr befriedigend sein. Denn haben wir uns einmal überlegt, was wir eigentlich genau (unterstützen) wollen, haben wir die Entscheidungs­leistung vorgezogen und treffen (auch unbewusst) „bessere“ Entscheidungen; wir entscheiden uns für Dinge, die mit unseren Werten (am ehesten) in Einklang stehen. Ausserdem haben wir bei Routineentscheidungen ein „bestätigendes“ Gefühl, und bei Neuentscheidungen können wir bei schon gemachten Gedanken anknüpfen.

 

2) Mangel an Informationen

Rund viermal im Jahr bekommen wir die Abstimmungsunterlagen, nicht nur den Stimmzettel, sondern auch das geliebte Abstimmungsbüchlein, welches die Hintergründe und den Abstimmungstext einer Vorlage sowie die Stellungnahmen der wichtigen Parteien und Verbände enthält. Parteien, Regierungsorgane, Wirtschaftsverbände, gemeinnützige Organisationen und bekannte Persönlichkeiten diskutieren das für und wider der Wahl. Die Medien verschiedener Richtungen erklären Hintergründe, fühlen den Politikern auf den Zahn, und bieten den verschiedenen Akteuren eine „Arena“ des Meinungsaustausches. Kurz: Informationen zur Entscheidung werden uns geradezu aufgedrängt.

Ganz anders steht es bei Entscheidungen in unserem Alltag. Die meisten Produkte verstecken Informationen zum Produkt eher, als dass sie darüber aufklären. Informationen sind selten verkaufsfördernd, vor allem die „falschen“ nicht. Die Bekleidungsindustrie zum Beispiel produziert den grössten Teil ihres Sortiments unter menschenunwürdigen Bedingungen. Wenn man die Lebensbedingungen und Handlungsoptionen (!) der Arbeiter und Arbeiterinnen in den Fabriken analysiert, gleicht das eher einer Sklavenarbeit als einer freiwilligen Beschäftigung. Das möchte natürlich niemand zeigen. Medien und NGOs müssen daher grosse Anstrengungen und manchmal auch Risiken auf sich nehmen, um darüber zu berichten. Auch die Lebensbedingungen in einem Mastbetrieb sind schlecht fürs Geschäft, und es ist kein Wunder werden diese Informationen versteckt! Fiktion schlägt hier Realität. Die Produktedesigner möchten viel lieber ästhetisch gestaltete Werbebilder in den Köpfen der Menschen haben als die Wirklichkeit, oder haben sie schon einmal eine Verpackung gesehen, welche die Kühe in einem Grossstall zeigt, statt auf einer grünen Wiese.

Dem kann man gegenhalten! Machen Sie den Produzenten klar, dass Sie sich nicht zu sehr vom Marketing beeindrucken lassen. Fragen Sie im Geschäft nach wie zB. ihre Hose produziert wurde. Sie werden überrascht sein, wie wenig die Verkäufer/innen über ihre Produkte wissen, das nicht Teil des Marketings ist. Schon die Frage nach dem Woher überfordert viele!

Natürlich werden nicht alle Produkte unter prekären Bedingungen hergestellt, im Gegenteil: viele Produzenten leisten einen grossen Beitrag für die Gesellschaft, und ihre Zahl nimmt zu. Aber auch diese wollen die Konsumenten nicht überfordern und halten sich mit Informationen zurück. Wie kommt man also zu den nötigen Informationen, um eine gute Entscheidung treffen zu können?

Recherchieren Sie im Internet, benutzen Sie Konsumentenforen, nutzen Sie das Angebot von unabhängigen Recherchegruppen wie zB. CleanClothCampaign, Fair Fashion Foundation, und schauen sie sich die Richtlinien des WWF an. Viele Firmen formulieren einen Code of Conduct, wo sie sich zu ethischen Standards und deren Überprüfung verpflichten. Informieren Sie sich über die Herstellungsbedingungen verschiedener Länder und vergleichen sie vorhandene Labels.

Den guten Absichten alle Ehre, aber machen Sie sich nicht verrückt! Die ganze „Maschine“ ist umfangreich und komplex. Sie müssen sich bewusst sein, dass Sie sich aufgrund beschränkter Informationen für ein Produkt entscheiden müssen, und da ist es unumgänglich, dass Sie sich einmal für ein „schlechtes» Produkt entscheiden. Trotzdem solche „Indizienentscheidung“ sind immer noch besser als keine Entscheidung. Wählen Sie innerhalb der Optionen, die ihren Möglichkeiten entsprechen (zeitlich, Aufwand und finanziell), und machen Sie sich darüber hinaus kein schlechtes Gewissen!

 

3) Mangel an Wahloptionen

Dies sollte in einer gut funktionierenden Marktwirtschaft eigentlich nicht vorkommen. Zumindest ist es das, was uns die Ökonomen versprechen: echte Vielfalt an Produkten, aus denen ausgewählt werden kann. Wenn eine genügend grosse Nachfrage nach einem noch nicht vorhandenem Gut entsteht, dann sollte eigentlich auch ein entsprechendes Angebot geschaffen werden. Bei Elektronikgeräten scheint aber eine enorme Lücke zu existieren. Beispiel: Fairphone; Eine kritische Menge an Menschen würde eigentlich gerne ein fair produziertes Telefon kaufen, und Fairphone hat grosse Anstrengungen unternommen, um ein Smartphone herzustellen, das aus fair gehandelten Ressourcen unter fairen Bedingungen hergestellt wurde. Aber für einen Grossteil der seltenen Metalle konnte schlicht kein geeigneter Produzent gefunden werden, und man musste auf „unfaire“ Quellen zurückgreifen. Ausserdem verfolgte Fairphone die Strategie, ihr Gerät „reparabler“ zu machen, damit es länger benutzt werden kann und daher wenigstens weniger „unfaire“ Ressourcen verschwendet. Für das Fairphone 2 kann man in Zukunft einfach Ersatzteile kaufen, und das Design ist darauf angelegt, dass es der Verbraucher selbst reparieren kann.

Die mangelnden Alternativen sind vielleicht eine Folge der ersten zwei Punkte, aber auch ein strukturelles Problem unserer Wirtschaftsrealität, wo wenige grosse Firmen den Markt beherrschen. Wenige und besonders grosse Player zerstören die Vielfalt, ganz besonders, wenn diese sich nur für den besten Preis interessieren. Und wenn keine oder nur wenig Informationen zum Produkt zur Verfügung stehen, ist der Preis schliesslich das ausschlaggebende Argument. Ein iPhone glänzt genau gleich, egal unter welchen Bedingungen das Kupfer abgebaut wurde. Also wählen die Produzenten den billigsten Lieferanten. Und weil das für Samsung auch gilt, produzieren am Ende alle Zulieferer zu den gleichen schlechten Bedingungen.

Was können wir also tun, wenn eine ganze Branche zu Bedingungen produziert, die wir eigentlich nicht gutheissen?

Eine Möglichkeit ist Vergleichen! Nicht das „einwandfreie Produkt“ suchen, sondern die jeweils beste Option aus einer beschränkten Anzahl.

Ausserdem kann man neue Lösungen suchen und kreativ sein. Man kann zum Beispiel auf Produkte ganz verzichten, Produkte länger benutzen, reparieren, gebraucht kaufen, selber schaffen oder ein Crowd-Founding-Projekt unterstützen. das eine solche Lücke schliesst. Oder man kauft sich nur die beste Qualität und kann damit das Produkt länger benutzen. Die letzte Strategie empfinde ich für Elektronik als eine sinnvolle Variante.

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