Die Angst eines Legasthenikers

DISCLAIMER: die Fehler in diesem Text haben ihren Ursprung in meiner Legasthenie und sind nicht auf mangelnde Intelligenz oder Fleiss zurückzuführen. Zur Veranschaulichung des unten beschriebenen Halo-Effektes können Rechtschreibefehler (in augenzwinklerischer Manier) künstlich eingefügt worden sein.

Die meisten Leute glauben, sie wissen was ein Legastheniker sei. Erzähle ich ihnen von meiner Legasthenie, zeigt sich sehr schnell, dass sie eigentlich keine Ahnung haben: Einige denken ich verwechsle willkürlich Buchstabe miteinander, und ich müsse mich unheimlich konzentrieren um nicht Buchstarben zu vertuaschen ;-). Andere meinen, dass es ganz normal sei, wenn man den einen oder anderen Rechtschreibe­fehler macht, dass ich mir mit der Revision gefälligst mehr Mühe geben und nicht so ein Theater machen soll! Diese Vorurteile zu korrigieren und zu erklären, dass es eben ganz verschiedene dyslexische Ausprägungen gibt, ist zuweilen mühsam, manchmal recht unangenehm. Sei es, weil man sie regelrecht belehren muss, oder, weil es tatsächlich nicht so einfach ist.Es ist nicht einfach zu verstehen wie ein Defizit in einem Bereich der Sprachverarbeitung sich auf andere Bereiche negativ auswirken kann, und wie dies sich bis in die Pubertät oder ins Erwachsenenalter noch Auswirkungen hat.

Der Knackpunkt ist natürlich, dass vom Gegenüber wirklich verstanden wird, dass eine Legasthenie nichts mit Dummheit oder Faulheit zu tun hat. Und trotzdem: Erklären und aufklären ist eigentlich immer gut. Dumm ist nur, wenn man erst gar nicht erklären kann! Und das ist leider meistens der Fall, wenn Legastheniker Texte schreiben. Denn: wer möchte schon vor jedem Text eines Legasthenikers zuerst einen Disclaimer lesen, so wie oben?

Die Angst vor dem Halo-Effekt

Meistens erreiche ich ein sehr hohes Niveau, und die Überarbeitung erhöht dieses noch, aber wenn die Zeit fehlt und ich dazu einen schlechten Tag erwische, kann der eine oder andere (kleine) Fehler irgendwo unbemerkt bleiben. Schnell geschriebene (und unwichtige!) Emails habe ich schon mit Kommentaren zurückbekommen, die mich ziemlich verletzt haben. Denn: weil ein «normalen Menschen» mit höherer Bildung normalerweise fehlerfrei schreiben kann, rufen Fehler nicht nur Kopfschütteln, Mahnfinger und Entrüstung über den Untergang der abendländischen Rechtschreibetugend hervor, sondern häufig ein Urteil, dass ich wohl dumm, schlampig oder faul sein muss.

Ein Text mit formalen und orthographischen Fehlern strahlt automatisch auf die Beurteilung des Inhaltes ab. Kaum ein Leser bringt es fertig mangelhafte Rechtschreibung und die Qualität des Inhaltes rational und emotional getrennt zu beurteilen. Dabei ist es gerade das was die Wissenschaft sagt: Fehler, die mir auf Grund meiner Legasthenie unterlaufen, haben mit dem Inhalt des Textes gar nichts zu tun.

Ausserdem werden der Einfachheit wegen und mangels guter Kriterien formale und orthographische Kriterien gegenüber der inhaltlichen überbewertet. Denn die Inhalts­beurteilung ist aufwändig, zuweilen riskant und muss inhaltlich begründet werden, was Zeit und Kompetenz voraussetzt. Die ganze Schul- und Unikarriere hindurch habe ich mich darüber geärgert: Weshalb schreibt man Texte, wenn nicht um Gedanken auszudrücken und Inhalte darzustellen? Warum kann man nicht einfach Inhalte beurteilen? Es ist doch völlig bekloppt, wenn man bei einen brillant geschrieben Text bemängelt, dass fünf Kommas fehlen und bei Legasteniker das h, und es darum ein lausiger Text sei? Aber genau das ist mir unzählige bis zur Universität unzählige Male passiert (ganz besonders in Seminaren wo die Texte von irgendjemanden in Zeitnot gelesen wird).

Das eigentliche Problem ist aber nicht, dass man die Rechtschreibung beurteilt, sondern, dass man von Rechtschreibefehlern indirekt auf eine schlampige Arbeit schliesst. In der Teststatistik nennt man das den Halo-Effekt. Und hier schleicht sich die Angst vor dem Schreiben ein. Wird dem Inhalt überhaupt die gebührende Aufmerksamkeit aufgebracht, trotz erhöhtem Fehleraufkommen?

Kindheitstrauma

Genealogisch hat die Angst des Legasthenikers natürlich einen anderen Ursprung. Sie sitzt viel tiefer: Seit der Schulzeit hat sie sich eingebrennt in die Routine des Texte-schreiben. Wer nicht unermüdlich trotz regelmässiger Schimpf und Schande weiterschrieb und sich für die Schönheit des schriftlichen Wortes begeistern konnte, hat sich wahrscheinlich schon lange einer anderen Beschäftigung gewidmet. Wer weiter machte, musste eine neue Schreibroutine finden, musste eigene Strategien entwickeln, hart an sich arbeiten oder regelmässig Leute anfragen die Texte gegenlesen. Persönlich habe ich gemerkt, dass ich im Lernen und Schreiben einfach anders funktioniere und es für mich besser ist nicht zu sehr am Workflow anderer zu orientieren. Stattdessen beobachte ich mich selbst genau, entwickle eigene Strategien und arbeite ständig an mir. Das ist nicht gerade sexy aber hilfreich. Dies würde ich übrigens jedem Legastheniker empfehlen.

Für alle Nichtlegastheniker empfehle ich: teilt die Fehler in einer liebevollen nicht-ironischen Sprache mit, oder seht doch bitte über die Rechtschreibfehler Anderer hinweg. Wenn es nicht wichtig ist, ist es nicht wichtig. Konzentriert euch stattdessen auf den Innhalt! 😉

Und?

Was ging Ihnen durch den Kopf als auf Fehler gestossen sind? Es würde mich sehr interessieren! Schreiben Sie’s mir: direkt oder mit einem Kommentar.

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